Cirque Gourmet 25

15 Cirque Gourmet 2023 Ist das so zu verstehen, dass ihr alle drei auf ein Miteinander mit der Natur aus seid und gegen deren Ausbeutung um jeden Preis? Rudolf Sommeregger: Absolut. Ich empfinde mich ja nicht nur als Bewirtschafter, sondern als ein Teil der Natur. Und da geht es gar nicht anders. Zum Glück fangen immer mehr Menschen an, in diese Richtung umzudenken. Hannes Müller: Man glaubt ja gar nicht, wie lernfähig ein Gast ist und was der aus dem Urlaub alles mitnimmt an Möglichkeiten, daheim ein wenig anders zu denken und seinen Alltag zu verändern. Wir sind unseren Weg, einfach zu schauen, was die Saison gerade hergibt, kompromisslos gegangen, und unsere Gäste gehen ihn heute mit. Nehmen wir als Beispiel das Frühstücksbuffet, bei dem viele Hotels im Wettlauf sind: Wer hat mehr, welches Buffet ist größer? Da machen wir nicht mit. Im Winter gibt es Apfelkompott, Apfelmus, eingemachte Beeren oder Zwetschken. Es geht nur darum, den Gästen zu kommunizieren, warum wir das tun, und dann macht es bei 99 Prozent Klick. Rudolf Sommeregger: Das kann ich aus der Direktvermarktung bestätigen. Es ist so wichtig, es den Menschen zu erklären und ihnen Ezzes zu geben. Astrid Fuchs-Zerbst: Ich freue mich auch immer, wenn Leute zu mir kommen und ich ihnen zeigen kann, wie der Betrieb funktioniert und wie die Kitzlein gehalten werden. Ich nehme auch gern Schulklassen, weil es über Kinder sehr gut funktioniert, ein Bewusstsein zu schaffen, dass wir Teil eines Ökosystems sind und uns letztlich selbst zerstören, wenn wir darauf nicht achten. Da lege ich meine ganze Inbrunst hinein, dass da etwas hängen bleibt bei denen, die zu mir kommen. Frage an den Haubenkoch: Hat man eine andere Beziehung zum Rohmaterial, wenn man weiß, mit wieviel Liebe und Achtsamkeit es entstanden ist? Hannes Müller: Definitiv. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Seit wir so arbeiten, gibt es eine ganz andere Übergabe der Lebensmittel. Ich packe nicht einfach aus, ich kann zum Beispiel im Gemüse vom Rudi lesen. Ich sehe den Aufwand, der dahintersteckt und den du auch nie gegenrechnen könntest. Aber schätzen muss man ihn, und deshalb versuche ich möglichst wenig wegzuwerfen, sondern verarbeite alles bis zum letzten Detail. Hat euer Umgang mit der Natur und dem, was sie euch zur Verfügung stellt, euren individuellen Genussbegriff verändert? Astrid Fuchs-Zerbst: Auf jeden Fall. Alles, was ich selbst herstelle und dann auch verzehre, esse ich mit einer großen Ehrfurcht. Es ist eine Wohltat, wenn ich 80 Prozent der Lebensmittel, die ich brauche, daheim am Hof selbst erzeugen kann. Und es schult den Gaumen und überhaupt die Sinne. Wenn heute irgendwo künstliche Aromen oder Zusatzstoffe drinnen sind, muss ich das gar nicht mehr kosten, das rieche ich schon. Hannes Müller: Ich bin sehr kritisch und wählerisch geworden. Es gibt Dinge, die kann ich nicht mehr essen, das würde mein Gaumen nicht zulassen. Aber wenn ich irgendwo hinkomme, wo dieselbe Philosophie herrscht und eine ähnliche Verbindung mit einem Bauern- und Lieferantennetzwerk besteht wie bei mir, kann das ein großer Genuss sein. Und wenn bei den Speisen eine Geschichte dabei ist, verstärkt das dieses Erlebnis. Rudolf Sommeregger: Ich breche es einmal auf das für mich Wesentliche herunter. Früher hatte ich für meine Produkte einen weitgehend anonymen GroßhandelsAbnehmer, heute fahre ich zu Menschen wie Hannes, bei denen ich weiß, die bemühen sich, aus meinem Produkt etwas zu zaubern, das Menschen begeistert. Diese Freude, die ich dadurch empfinde, überträgt sich auf mein ganzes Umfeld und macht das ganze Tun zum Genuss. »Wir brauchen Storytelling auch in der Gastronomie. Dann kriegt ein Sellerie eine Geschichte, und der Gast geht privat an die Quelle zum Bauernmarkt.« HANNES MÜLLER, 4-HAUBEN-KOCH UND CHEF DER »FORELLE«

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