Wachau Magazin 2022

46 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 2 Unter der 113-jährigen Kaiserlinde im Nikolaihof Wachau Als Österreichs Kaiser Franz Joseph 1908 sein 60. Krönungsjubiläum feierte, wurden ihm zu Ehren überall im Lande Buchen und Linden gepflanzt. Auch im Nikolaihof in Mautern, für den diese Re- gierungszeit freilich nur ein Wimpernschlag in sei- ner fast 2.000-jährigen Geschichte ist. Für Archäologen eine herrliche Schatzkammer, um immer wieder Neues zu entdecken. Erst kürzlich kamen bei Grabungen Unmengen von Austernscha- len (!) zum Vorschein. Einst offensichtlich eine be- gehrte Delikatesse der allerreichsten Römer, die sich diese kostbare Fracht in Salzbehältern über die Donau an den Limes transportieren ließen. So faszinierend Gastgeberin Christine Saahs dies historisch findet, so entschieden lehnt sie in der Weinstube lange Transportwege bei saisonalen Lebensmitteln ab. Gemeinsam mit ihrem Mann Nikolaus gilt sie seit den 1970er-Jahren als Deme- ter-Pionierin Österreichs. Lange belächelt, wurde die biodynamische Bewirtschaftung zum Marken- zeichen des Nikolaihofs. Mit einer Weinqualität, die sehr rasch Kritiker verstummen ließ und weltweite Anerkennung fand. Spätestens dann, als der Parker- Weinguide ihrem 1995 Vinothek Riesling als ersten österreichischen Wein das Maximum von 100 Punk- ten verlieh. Der Demeter-Gedanke prägt auch die Küche, und hier kommt wieder die Linde ins Spiel. Das kleine Bäumchen überragt nach mehr als 100 Jahren die umliegenden Dächer. Es umschließt Tische und Bänke wie ein überdimensionaler, natürlicher Dom aus Blättern und Ästen, die bis zum Boden reichen. Flackernde Fackeln und Kerzen unterstreichen abends die Stimmung, und wenn im Juni die Linde erblüht, erfüllt der betörende Duft das gesamte Weingut. Christine Saahs hätte sich für die Weinstube keine stimmigere Bühne ausdenken können. Die erfolg- reiche Kochbuchautorin lässt hier auftragen, was sie unter nachhaltiger und gleichzeitig sehr gut schme- ckender Küche versteht. Gemüse und Obst aus den eigenen Gärten stehen dominierend im Mittelpunkt, essbare Blumen spielen eine wichtige Rolle und na- türlich sind Fisch, Fleisch und Wild nur von Lieferan- ten, die dem biodynamischen Anspruch genügen. Unterm Nussbaum in der Hofmeisterei Hirtzberger Unter den zahlreichen Weinlesehöfen der bisweilen mehr als 50 Klöster, die sich ab dem Mittelalter fast drei Viertel der Wachauer Weinberge aufteilten, ist die Hofmeisterei Hirtzberger in Wösendorf ein ganz besonderes Juwel. Mehr ein Ansitz denn ein Wirt- schaftshof, der hinter seiner lachsfarbenen Fassade in jedem Detail Geschichte atmet: Gotische Elemen- te treffen auf Strukturen aus der Renaissance mit einem gehörigen Touch Barock, aber nicht altmo- disch verstaubt, sondern mit einer frechen, vitalen Modernität. Dafür sorgt das dynamische Pächterduo Erwin Windhaber und Hartmuth Rameder, die als Küchenchef und Maître das Restaurant unter die besten Adressen Niederösterreichs geführt haben. Die abwechslungsreiche Gourmetküche mit zwei Menüs, aus denen auch à la carte bestellt werden kann, spannt den Bogen von Kalbsschnitzel oder Filet Rossini mit Gänseleber und Trüffel bis zu kreativeren, aber (fast) immer regional verwurzelten Gerichten wie Flusskrebsravioli mit glaciertem Kalbsbries. Eine Klasse für sich ist die Wein- und Brändekarte mit mehr als 2.000 (!) Positionen. Besonderes Ein neues Juwel im Nikolaihof: SALON 77, der loungige Verkostraum neben der 250 Jahre alten und mit 12 m Länge beeindruckenden großen Baumpresse. Hier gibt’s nicht nur alle Weine zum Probieren, sondern auch »dieNikolai«, die erste, weltweit demeterzertifizierte Biotraubenkosmetik zum Ausprobieren. Und die ist derzeit ganz stark im Kommen.

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