Wachau Magazin 2021
70 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 1 ir starten bei der Rollfähre in Spitz und wechseln auf die südliche Donauseite nach Arnsdorf. Und gleich zu Beginn dieser Rad- tour an einem prächtigen Sommermorgen kommen wir aus dem Schauen und Staunen nicht heraus. Im Radsattel die Donau entlangzustrampeln, bedeutet, dass sich einem unentwegt ein neues Juwel in die- ser unfassbar schönen Landschaft erschließt. Etwa die Steine der Trockensteinmauern in den Terras- senweingärten, von denen man seine Augen nicht wenden kann. Auf unserer Rundreise an beiden Donauufern über Arnsdorf, St. Lorenz, St. Michael, Loiben, Dürnstein, Weißenkirchen und zurück nach Spitz hat man unentwegt das Gefühl, durch ein prächtiges Ge- mälde zu radeln. Und dass die UNESCO dieses gut 35 Kilometer lange Donautal zum Welterbe ernannt hat, erscheint in Momenten wie diesen nur würdig und recht. Franz Hirtzberger, Winzer in Spitz und 24 Jahre lang Obmann der Vinea Wachau, schwingt sich bei einem kurzen Zwischenstopp aus dem Sattel, lässt seinen Blick schweifen und sagt: »Wir haben schon einen gewissen Stolz, in einer Gegend arbeiten zu dürfen, in die andere zum Bestaunen anreisen. Die Kultur- landschaft Wachau ist für uns nicht nur ein bestän- diger Auftrag, sondern auch eine sehr große Freude.« Sein Nachfolger Emmerich Knoll ergänzt: »Es sind ja nicht nur diese jahrhundertealten Steinterrassen, sondern wir haben auch in den Orten mit ihren Lesehöfen und der traditionsreichen Baukultur den Charakter erhalten können.« EIN SCHLÖSSL MIT BEDEUTUNG Wie zum Beweis dafür zeigt sich ein besonders schönes Gebäude, als wir durch Rossatz radeln. Der Subenhof, heute eine schmucke Pension, war einst Lesehof des Stiftes Suben am Inn, und Teile seiner Bausubstanz sind über 500 Jahre alt. Von Rossatz aus startet für die Pedalritter aber auch gleich das nächste große Ablenkungsmanöver, denn von hier aus erschließt sich ein herrlicher Blick auf Dürnstein am anderen Donauufer. Und nicht nur aus Sicherheitsgründen ist das nächste Absteigen und Innehalten geboten, denn diese prächtige Aussicht gewährt auch einen tiefen Einblick in die Geschichte der Vinea Wachau. In Dürnstein steht nämlich inmitten der Weingärten ein besonders schönes Stück Baukultur, das Keller- schlössel der Domäne Wachau. Zu diesem kleinen W Mit den Kategorien Steinfeder, Federspiel und Smaragd hat die Vinea Wachau ihr Weinbaugebiet weltbekannt gemacht. Als pulsierendes Herz der Region vermochte dieser solidarische Zusammenschluss der Winzer immer wieder Visionäres umzusetzen und so manches Unheil abzuwehren. barocken Lustschloss, das 1719 direkt über dem Eingang zu einem der vielen Weinkeller erbaut wor- den war, soll, so erzählt man, auch der frühere Bun- deskanzler Leopold Figl einen Schlüssel gehabt und den speziell während der Staatsvertragsverhand- lungen auch fleißig benützt haben. Das Dürnsteiner Kellerschlössel hat für die Wachau aber nicht nur seiner Historie und Schönheit wegen große Bedeutung: Hier wurde am 17. August 1983 die Vinea Wachau gegründet, eine aus heutiger Sicht durchaus visionäre Kombination aus Gebietsschutz und freiwilliger, strenger Qualitätsverpflichtung. Mit der Vinea legten sich die Gründungsmitglieder auch auf jene drei Weinkategorien fest, die heute weltweit als Markenbotschafter der Wachau be- kannt sind: Die leichte, spritzige Steinfeder, den mittelgewichtigen Federspiel und den vollreifen Smaragd. »Seit es die Vinea Wachau gibt, haben wir diese drei Gewichtsklassen in den Vordergrund ge- stellt und damit immer automatisch die Herkunft Wachau mitbeworben«, sagt Emmerich Knoll. WIRTSCHAFTS- UND SCHICKSALSGEMEINSCHAFT Die Konzentration auf diese drei Marken ist ein Be- kenntnis zum gebietstypischen Weinstil, aber die Vinea umfasst so viel mehr. Was Franz Hirtzberger verschmitzt »Zölibat« nennt, ist eine Art Winzer-Eh- renkodex: Die Mitglieder der Vinea verpflichten sich dazu, nur Trauben aus dem abgegrenzten Gebiet der Wachau zu verwenden und bekennen sich zu Naturbelassenheit, Qualität und auch zur Handlese. Die Idee hinter diesem Zusammenschluss war ihrer Zeit weit voraus, und die mittlerweile verstorbenen Gründerväter Franz Hirtzberger senior, Josef Jamek, Franz Prager und Wilhelm Schwengler können heute getrost als Visionäre bezeichnet werden. Denn so schön die Steinterrassen auf den steilen Hängen für den unbedarften Wanderer anzuschauen sind, so mühsam sind sie für den zu bewirtschaften, der von ihrem Ertrag leben muss: »Wir haben wahnsinnig schwierige Arbeitsbedingungen, unser Aufwand steht wesentlich über dem in anderen Weinbauge- bieten«, erzählt Emmerich Knoll und sagt: »Die Wachau ist deshalb auch ein bisserl eine Schicksals- gemeinschaft.« SOLIDARISCH, STOLZ UND WEHRHAFT Mit der Vinea wollte man deshalb auch die Einzel- interessen zu einem großen, solidarischen Ganzen bündeln. Es gibt keinen Betrieb mit mehr als 30 Hektar Anbaufläche, und das war und ist auch so gewollt. Wir queren inzwischen bei Dürnstein die Donau, und Emmerich Knoll erklärt: »Nach meinem Verständnis war das Anliegen der Vinea-Gründer, das Gesamte weiterzubringen, damit die Einzelnen eine Chance haben.« Und Franz Hirtzberger ergänzt: »Uns war immer wichtig, dass alle, die sich unserem Codex verschreiben, dabei sein können, nicht nur die elitären Weingüter. Deshalb haben wir in der Emmerich Knoll (links) und Franz Hirtzberger: Mit dem Vinea-Obmann und seinem Vorgänger geht’s mit der Rollfähre in Spitz über die Donau zu einer Radtour durch die Wachau. Den Wein immer im Blick. Ein schicksalhafter Platz an der Donau: Ohne den visionären Weitblick und die Wehrhaftigkeit der Vinea wären diese Weingärten durch ein Donaukraftwerk unter den Fluten eines Stausees (siehe auch Seite 114) versunken. Vom stilleren Südufer aus eröffnet sich der Blick auf das von Weingärten eingebettete Weißenkirchen, dessen wehrhafte Pfarrkirche die größte Weinbaugemeinde der Region eindrucksvoll überragt. Die Keller von Schloss Erlahof in Spitz sind die Schatzkammern der Vinea Wachau. Hier lagern in langen Reihen exakt nummerierter Weinregale alle Wachauer Weine, die auf den Markt gekommen sind. »Vinea heißt auch: Jeder bleibt selbstständig, aber alle ziehen an einem Strang.« FRANZ HIRTZBERGER
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