Wachau Magazin 2019

K Ü N S T L E R S C H I C K S A L WA C H A U M A G A Z I N 2 0 19 | 95 er Mann in dem rustikalen Pullover hat eindeutig den Schalk im Nacken. Die Augen: neugierig, wach, spöttisch, aber keine Spur zynisch. Das Lächeln: heiter, warm, staunend. Als möchte er gleich aus- rufen: Ist diese Welt nicht voller Wunder und verrückter Dinge? Oh ja, sogar ziemlich verrückt. Und brutal und bunt und schmerzhaft und wundervoll. Oskar Kokoschkas Welt. Ein Leben vom Genie zum Wahn und wieder zurück. 71 Jahre war er alt, als ihn der Fotograf Pete Hohn 1957 in Minne- apolis portraitierte. Das Bild zeigt einen Mann, der in sich ruht. Und der zu diesem Zeitpunkt noch 23 sehr er- folgreiche Jahre vor sich hat. Oskar Superstar, Klassiker der Moderne, Ikone des Expressionismus. Internationale Ehrungen und Ausstellungen sollten seinen Lebensabend prägen. Geboren wurde das Multi-Talent – Oskar Kokoschka war Maler, Grafiker, Dramatiker, Essayist, Bühnenbildner – am 1. März 1886 vor den Toren der Wachau, in Pöchlarn an der Donau. Sein Geburtshaus an der Regensburger Straße 29 ist heute eine gelungene Mischung aus Dokumentations- zentrum und Galerie. Ein kulturelles Kleinod, das sich zu entdecken schon deshalb lohnt, weil es einen der bedeu- tendsten Künstler des 20. Jahrhunderts auf faszinierende Weise widerspiegelt. Altes und Neues ist architektonisch geschickt verknüpft, es gibt eine Fülle von Videos, Fotos und Büchern über Ko- koschka und eine sehenswerte und klug gestaltete Präsen- tation seiner Schaffensperioden. Die Dauerausstellung mit Werken des Meisters ergänzen jährlich wechselnde und thematisch spannende Sonderausstellungen. Aber auch weniger Kunstinteressierte kommen auf ihre Kosten: Kann man sich doch auf die Spuren einer der leidenschaftlichsten und verrücktesten Liebesaffären des vergangenen Jahr- hunderts begeben. Der hoch talentierte Kokoschka hatte früh verstanden, wie man auf sich aufmerksam macht: durch Provokation. An- stelle der ornamentalen Linienführung des Jugendstils huldigte er einer expressiven, kantigen Malerei. Gefördert von Adolf Loos und Gustav Klimt erregte der junge Künst- ler nicht nur mit freizügigen Mädchenakten die Gemüter. Sein 1909 in Wien uraufgeführtes Theaterstück »Mörder, Hoffnung der Frauen« sorgte für einen heftigen Skandal, der in einem Handgemenge im Publikum gipfelte. Kokoschka wird als Bürgerschreck, als »Oberwildling« be- schimpft. Als Reaktion lässt er sich die Haare scheren. Ein Foto in der Pöchlarner Ausstellung zeigt ihn als eleganten jungen Skinhead und Dandy – mit Vatermörderkragen und getupftem Halstuch. Die Rolle des Rebellen macht ihn in- teressant. Im April 1912 lernt Kokoschka die sieben Jahre ältere Alma Mahler kennen, attraktive Witwe des Komponisten Gustav Mahler und Mutter von zwei Töchtern. »Wie schön sie war, wie verführerisch hinter ihrem Trauerschleier! Ich war ver- zaubert von ihr!« Alma Mahler schildert die erste Begeg- nung in ihrer Biografie etwas nüchterner: »Er umarmte mich plötzlich stürmisch. Diese Art der Umarmung war mir fremd. Ich erwiderte sie in keiner Weise, und das schien auf ihn gewirkt zu haben.« Und wie das gewirkt hat. In einem glühenden Brief bittet Kokoschka Alma, seine Frau zu werden. Aus der Ehe wird nichts. Stattdessen entwickelt sich eine Amour fou. Ko- koschka bombardiert Alma mit Liebesbriefen, über 400 in zweieinhalb Jahren. Nur eine Nacht mit ihr gäbe ihm Kraft für eine Woche Arbeit, schwärmt der Künstler. Rund 450 Zeichnungen und Gemälde entstehen während ihrer Liai- son, darunter das expressionistische Meisterwerk »Die Windsbraut«. Das Bild zeigt Oskar und Alma als Schiff- brüchige aneinandergeschmiegt in einem Meer, die Ideali- sierung einer alles verzehrenden Liebe. D Text: Hans Schloemer Er liebte so exzessiv wie er malte. Und er war bereits zu Lebzeiten eine Legende: Oskar Kokoschka. Sein Geburtshaus in Pöchlarn ist heute ein Dokumentations- und Ausstellungszentrum, das faszinierende Einblicke in das wilde Leben des Künstler-Genies gewährt. OSKARS WELT AUF DEN SPUREN EINER LIEBE DIE WITWE UND DER BÜRGERSCHRECK

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