Wachau Magazin 2019

20 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 19 W E LT E R B E warts, und in den engen Gassen Dürnsteins, geleitet von mächtigen, historischen Mauern, bemalten Torbögen, Stie- gen, die ins Nichts führen und dem Duft nach Winter und Feuchtigkeit, stellt sich abrupt jene schwebende Zeitlosig- keit ein, die den wahrhaftig historischen Ort ausmacht. Babenberger, Kuenringer, der legendäre Richard Löwen- herz: Sie sind das Personal der Träume, denen man hier mit angehaltenem Atem nachspüren kann, weil sich die Kulis- sen nicht verändert haben, abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen Schild einer Tabaktrafik oder dem Hin- weis, dass es um die Ecke eine warme Mahlzeit gibt. Ich schaue in die tiefhängenden Wolken und sortiere Fra- gen. Stimmt es, dass Löwenherz in der Burg dort oben ge- fangen gehalten wurde? (Die Geschichtsbücher sagen: Ja, von Dezember 1192 bis Februar 1193). Was hat der legen- däre Matthias Corvinus mit Dürnstein zu tun? (Der ungari- sche König eroberte die Stadt gleich zweimal, 1477 und 1485). Warum ist die hochherrschaftliche Burg Dürnstein eigentlich eine Ruine? (Weil sie während des Dreißigjähri- gen Kriegs von den Truppen des schwedischen Generals Torstenson gesprengt wurde). Die Gassen Dürnsteins wissen noch viel mehr Geschichten. Man muss ihnen nur zuhören. Der Anblick eines Menschen, der sein Ohr aufmerksam an die Dürnsteiner Stiftsmauern hält, ist also nicht zwangsläufig dem Genuss von zu viel Grünem Veltliner geschuldet. Könnte sein, dass die Mau- ern gerade etwas ganz Spezielles zu erzählen haben und dass der Typ, der zuhört, ich bin. DIE FARBEN DER RICHTIGEN WOCHEN Manchmal bin ich nur deshalb in der Wachau, um Farben zu sammeln. Auf die Idee hat mich Lucas Pichler gebracht, dessen neue FX Winery nicht nur architektonische Zeitge- nossenschaft nach Loiben verpflanzt hat, sondern auch die Erweiterung der Farbpalette zelebriert. Ihre Fassade ist eher dunkel. Aus der Ferne kann man die Beziehungswelt ihres Oberflächenmaterials nicht erken- nen, aber sobald der Blick über den Horizont, über das großartige, oktoberbunte Mittelalterpanorama von Dürn- stein schweift, springen dir als Assoziation die Felsen un- terhalb der Burgruine Dürnstein ins Auge. Ein stumpfes, unregelmäßiges Schwarz, Autolackvertreter würden be- stimmt einen Namen dafür erfinden, grottenanthrazit oder carbonnoir. Selbst in ihren dunklen Schattierungen ist die Wachau vir- tuos, kein Wunder, dass sich Landschaftsmaler hier immer sehr wohl gefühlt haben. Schroffe Felsen, spektakuläre Ter- rassen, dieWolken, die sich auf besondereWeise in der Donau spiegeln, und natürlich alle Launen der Jahreszeiten. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal eher zufällig von Spitz Richtung Krems unterwegs war, als gerade die Maril- lenblüte eingesetzt hatte. Ich konnte, obwohl ich gar nicht mit besonders viel Tagesfreizeit ausgestattet war, nicht an- ders, als das Auto in irgendeiner Parkbucht fallen lassen, um das Phänomen in seiner ganzen Dimension zu erfassen, langsam, gründlich, auf zwei Beinen stehend und die Nase in den Wind haltend, nicht durch eine Windschutzscheibe von der wahren Welt getrennt. Die Blütenwolken der Obstbäume sahen aus wie mit hauchdünnem Deckweiß in die frische, saftige Landschaft gesprenkelt. Ein Hauch von Rosa offenbarte sich, und ich bildete mir ein, dass die Obstgärten einen eleganten, fein- stofflichen Geruch verströmten. Es lohnte sich, ein paar Schritt bergauf zu gehen, die Per- spektive zu wechseln, um das Phänomen sozusagen als Ganzes, nicht nur in seinen vereinzelnten Ausformungen Hoch über der Donau thront die Basilika Maria Taferl, ein barockes Schmuckstück mit Kunst in höchster Vollendung – von ver- goldeter Kanzel über dreiteilige Orgel bis zur beeindruckenden Schatzkammer mit gesammelten Votivgaben, wie edelsteinverzierter Kelch oder vergoldete Pietà. Gleich daneben in bester Panoramalage: Hotel und Restaurant Schachner. Foto: www.extremfotos.com

RkJQdWJsaXNoZXIy NzA5MzY2