Wachau Magazin 2019

18 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 19 W E LT E R B E Am Straßenrand Marillen aufklauben. An Dürnsteins mächtigen Mauern Geschichten hören. ImWeinbaugebiet neue Architektur entdecken. Farben sortieren. Auf der Rollfähre Urlaub machen. In der Sandgrube tanzen. Unser Autor Christian Seiler bereist die Wachau kreuz und quer und zu allen Jahreszeiten. Das ist sein Notizbuch. Text: Christian Seiler GLÜCK AM WEGESRAND: DIE WACHAUER MARILLE Manchmal wohnt das Glück direkt am Straßenrand der B3, der Wachauer Bundesstraße. Vor einem langgestreckten Obstgarten, unter einem Sonnenschirm, den Coca Cola ge- spendet hat, befinden sich ein paar Steigen mit Marillen, und weil die Person, die diese Marillen gepflückt hat, nicht gemeinsam mit den duftenden, aromatischen Früchten nachreifen will, steht nur eine kleine Kassa neben dem Stuhl, und eine Handschrift auf Pappendeckel lädt dazu ein, für die Früchte den angemessenen Preis zu bezahlen. Ehrensache. Mein Hosensack ist sowieso voller Münzen. IST EIN GANZES JAHR UND EINE RUNDE WELT Als ich die erste Marille koste, trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Ich habe nur ein einziges Hemd im Gepäck. Das ist insofern von Bedeutung, als diese Früchte so reif und so saftig sind, dass an einen gesitteten Verzehr überhaupt nicht zu denken ist: Kaum beißt du ab, beginnt der Saft der Marille zu rinnen, als hätte irgendwer die Wasserleitung aufgedreht, und du musst dich akrobatisch verrenken, damit nicht augenblicklich dein gesamtes Outfit nass und klebrig ist. Beim Genuss der zweiten Marille, die ich wie ein Galgen- vogel mit Rundrücken und weit vorgeschobenem Kopf zu mir nehme, gelingt es mir langsam, mich auf den Geschmack zu konzentrieren: Diese Marille ist samtig und süß, und dem D ieWachau Vielseitige Wachau: Im Bild die Badebucht bei Weitenegg/Leiben nahe Emmersdorf, das sich am Eingang zum UNESCO-Weltkultur- erbe als beliebtes Radlerdorf mit so manchen historischen Entdeckungen, wie der Magdalenenkapelle, etablierte. Foto: www.extremfotos.com