Wachau Magazin 2018

2 8 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 18 Z E I T Z E U G E machte Karl der Große 791 ein Ende. 325 Jahre nach dem Untergang Westroms standen beide Ufer wieder unter der Herrschaft eines Kaisers in einem Vielvölkerreich. Carolus Magnus, am 1. Weihnachtstag, dem 25. Dezember 800, in Rom von Papst Leo zum Kaiser gekrönt, setzte das west- römische Kaisertum wieder fort. Charlemagne legte einen der Grundsteine für das Werden der Wachau, ihren Wein- bau und das heutige Europa. IM AMPHITHEATER DER KUENRINGER Nach einer alten Makler-Weisheit sind drei Dinge wichtig: Lage, Lage, Lage. Die Besonderheit der Lage von Dürnstein ist ein Natur-Schauspiel von Fels und Fluss: Das mächtige Ministerialen-Geschlecht der Kuenringer wusste diese Natur-Arena für die Inszenierung einer mittelalterlichen Stadt am Strom zu nutzen. Denn hier spielt die Landschaft der Architektur so entgegen, sodass sich die Architektur leidenschaftlich theatralisch der Landschaft bemächtigen konnte. Eine Stadt als Theater, Landschaft und Architektur wurden untrennbar für die Zukunft vereint: Aus Bruchstein entstanden eine stolze Burg, gewaltige Stadtmauern, ein Clarissen- und ein Chorherrenkloster. Diese Elemente form- ten bereits im Mittelalter inmitten bizarrer Felsformationen die Skyline einer einzigartigen Stadt am Fluss. Auf einem aus der Donau herausragenden Felsen steht der mächtige gotische Turm des Chorherrenklosters. Er wird zum domi- nierenden Faktor der weiteren Entwicklung, die auch nach dem Aussterben der Dürnsteiner Kuenringer-Linie im 16. Jhdt. nicht zu stoppen war. ARCHITEKTONISCHE KRÖNUNG: »ZUR HÖHEREN EHRE GOTTES« Mit der Fließgeschwindigkeit der Donau kamen im 16. Jhdt. die Bibeln des Reformators aus Wittenberg ins österrei- chische Land. Gesellschaftliche Umwälzungen von großem Ausmaß folgten. Mit staatlichen Machtmitteln und vor allem mit Hilfe des Jesuiten-Ordens wurde die Gegenre- formation eingeleitet. 1586 kamen die ersten Jesuiten als Prediger nach Krems. Ihr Wahlspruch: » Ad maiorem Dei gloriam «. 1616 wurde das Jesuitenkolleg in Krems, ein sechsstufiges Gymnasium, den späteren Piaristen, eröffnet. Diese Entwicklung führte zu einer architektonischen Krö- nung der kleinen Stadt am Donaustrom. Auch wenn das Tridentiner Konzil für die Kirchenarchitektur keine genauen Vorgaben machte, ist die Wichtigkeit der Architektur für die Gegenreformation und ihre propagandistischen Ziele nicht zu unterschätzen. Die Forderung von Prächtigkeit, Hervor- hebung der Fassade, Unterwerfung der gesamten Ausstat- tung unter ein Universal-Programm waren die Grundlagen für ein theologisch motiviertes Gesamtkunstwerk. Sie waren die Basis der neuen Sakral-Architektur, der auch die bildenden Künste (Plastik und Malerei) unterworfen wurden (» Disegno «). Die prächtige Fassade der ersten Jesuitenkirche in Rom ( Chiesa del Santissimo Nome di Gesù , Baubeginn 1568) war einer der Vermittler dieser Rückkehr zu den Prinzipien der Griechen und Römer, der Formensprache der Antike. Symmetrie, Axialität, Rich- tungsbezogenheit und großzügiges Raumgefühl. Es war eine Vorwegnahme der Forderungen Winckelmanns. TREUE ZUM EWIGEN ROM Hieronymus Übelbacher, Propst zu Tiernstein, war Anfang des 18. Jhdt. berufen, diesen theologischen Auftrag und die architektonische Verwandlung für das gotische Augusti- ner-Chorherren-Stift in der Stadt der Kuenringer umzu- setzen: Zwei Prunkportale bilden Höhepunkte. Aber die Krönung wurde der von den Architekten Matthias Steinl und Joseph Mungenast gestaltete Turm. Der Turm zeigt sich von der Donau aus nicht als Teil von Kirche und Klos- ter, sondern wie ein Campanile als selbstständige Archi- tektur: Auf freigestellten Konsolen aufragende Obelisken, kräftige Volutenflügel, lateinische Inschriften, Skulpturen- gruppen schließen nach mehr als 1700 Jahren den Bogen zu den Anfängen eines römischen Wachturms in der Antike. Mit dieser Verwandlung erneuerte Propst Übelbacher das Treueversprechen der kleinen Stadt am Donaustrom zu Roma Aeterna . fides servanda est. Dürnstein erhielt archi- tektonisch einen römischen Mikrokosmos. MAHNENDE FRAGE EINES TURMS In sieben großen Reliefs mit der Passion Christi wird am Turm ein römischer Strafprozess mit Vorverfahren/ Folterung, Hauptverfahren/Verurteilung und Kreuzigung/ Vollstreckung gezeigt. In dessen Zentrum steht eine Bege- benheit aus dem Johannes-Evangelium. Die Worte Jesus von Nazareth: » Ich bin in die Welt gekommen, um Zeugnis für die Wahrheit abzulegen «, quittierte Pontius Pilatus mit der Frage » Was ist Wahrheit ?«. Der römische Prokurator erwartete sich keine Antwort und Jesus gab – nach der Überlieferung – auch keine. Hinter der Frage des Prokura- tors entstand aus dem Blut des Gekreuzigten die wesentli- chere Frage » Was ist Gerechtigkeit ?« (Hans Kelsen). Es ist die zentrale Frage der gesamten Menschheit. Keine andere Frage wurde leidenschaftlicher diskutiert. Für keine andere Frage wurde mehr Blut Unschuldiger vergossen und Leid zugefügt. Die Frage ist bis heute ungelöst. Der Dürnsteiner Turm stellt diese mahnende Frage jeden Tag aufs Neue: quid est iustitia? CELESTINO-BLAU: ROM HAT GESPROCHEN – DIE SACHE IST GEKLÄRT Im Rahmen einer umfassenden Restaurierung von 1986 hat sich der »amtierende Hausherr« Propst Mag. Maximilian Fürnsinn bei der Farbgebung des Turms für ein Celestino- blau auf weißem Grund entschieden. Der folgende Sturm der Entrüstung legte sich rasch. Die Farbe des Himmels kann doch niemals falsch sein? Roma locuta causa finita . Und das gilt auch für den ersten Platz der Wahrzeichen der Wachau: der Stiftsturm von Dürnstein.

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