Cirque Gourmet 30

20 Cirque Gourmet 2025/26 Toast Hawaii trifft Käse-Igel In der alpinen Küche hat sich qualitativ unglaublich viel getan. Nur die Dosen-Ananas am Toast konnte sich irgendwie ins Heute retten. Auch weil damit viele Erinnerungen verbunden sind. or genau 45 Jahren nahm der findige Werbemann Michael Reinartz von einer Frankreich-Reise die glorreiche Idee mit, die österreichischen Restaurants anonym testen zu lassen. Der Guide Gault Millau war geboren und die Präsentation der ersten Ausgabe 1980 gleich von einer Reihe an Prozessen begleitet. Prozesse von Wirten, die die pointierte, harsche Kritik überhaupt nicht lustig fanden. Zwar hatte ein gewisser Eckart Witzigmann schon 1971 im »Tantris« neue Wege aufgezeigt und mit seiner Küche erste Schritte in der öffentlichen Wahrnehmung geschafft. Landauf, landab wurde aber in den meisten Restaurants noch unsagbar schlecht gekocht, wobei Produkte aus der massiv gedüngten Landwirtschaft nicht gerade hilfreich waren. Ein Spiegelbild dieser Zeit sind die Rezeptbücher der Höheren Lehranstalten für Frauenberufe, liebevoll Knödelakademien genannt. Ziel war es nicht, Frauen für führende Positionen in Firmen und Aufsichtsräten aufzubauen, sondern sie fit zu machen für Heim und Herd. Wer diese alten Sammlungen durchblättert, stößt auf bemerkenswert fundierte und detaillierte Anleitungen für die Basics der österreichischen Küche. Zunehmend herrschte aber auch Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude, und für private Essenseinladungen gesellten sich bald bunte Gerichte, die mittlerweile Retro-Klassiker sind: Der Krabbencocktail mit Mayonnaise durfte ebenso wenig fehlen wie Schinkenröllchen oder russisches Ei. Den »Falschen Hasen« gab’s als Hauptgang oder, etwas exklusiver, das Boeuf Stroganoff, und als Finale wurde Wackelpudding, flambierte Bananen oder der legendäre Käse-Igel gereicht, bei dem Käsestückchen mit allerlei Früchten auf eine Melone oder einen Krautkopf gespießt wurden. Zum Star unter den Früchten avancierte ausgerechnet die Dosen-Ananas, die bei Nachspeisen ebenso unverzichtbar schien wie bei Hühnerfilets oder Steaks. Das Gericht einer ganzen Generation war aber der Hawaii Toast, der als i-Tüpfelchen sogar noch eine picksüße Cocktailkirsche aufgesetzt bekam. Nach allfälligen Allergien hat niemand gefragt, vermutlich waren sie noch nicht erfunden. Und mit Begriffen wie vegetarisch oder vegan konnte ohnedies kaum jemand etwas anfangen. Einfach war auch die Getränkeauswahl. Bier war gesetzt, bei Wein gab’s die Sorten weiß oder rot, Weißwein entweder »herbherb« zum Spritzen aus dem Doppelliter oder als verschnittener, süßer Gumpoldskirchner. Dazu gesellte sich der rote Lambrusco und der dünne Kalterer See, der angesichts der damaligen Massenproduktion wohl ein Meer gewesen sein muss. Klar war in jedem Fall, dass bei einer privaten Einladung so heftig geraucht wurde, dass kleinere Wohnungen danach mindestens zwei Tage von kaltem Rauch geprägt waren. Da hat sich natürlich – zum Glück – viel geändert in den letzten Jahren. Nur der Toast Hawaii hat als ewiges Bollwerk des schlechten Geschmacks zumindest im privaten Bereich irgendwie überlebt. Seine Schwester ist populärer: die Pizza Hawaii, zu der sich auch etliche Spitzenköche bekennen. Wenn auch heimlich, denn für ein derartiges Outing ist unsere Gourmetszene noch nicht offen genug. RETRO V Unverwüstliche Bastionen fragwürdigen Geschmacks: Toast Hawaii und seine Schwester, die Pizza Hawaii. Text: Wolfgang Neuhuber

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