Cirque Gourmet 30

Gehen wir zur Achse Lienz–Wien–Berlin. Sie konnten Lienz nicht schnell genug verlassen und standen schon mit gepackten Koffern bei der mündlichen Matura. Über die nächste Station Wien sagten Sie einmal: »Ich hasse diese Stadt«, aber Berlin macht Sie offenbar rundum glücklich. Was muss eine Stadt haben, damit Sie sich dort Ihr seelisches Daheim bauen können. Michael Rotschopf: Weiße Wände. Freiraum. Freiraum, der von mir gefüllt werden kann. In dem ich leben kann, in dem ich sein kann, ohne dauernd das Gefühl zu haben, ich muss akzeptiert werden, oder es muss mir von irgendjemandem sanktioniert werden; dass ich bin, wie ich bin. Wien war mir immer so »metternichsch«, man hatte immer das Gefühl, wenn man mit einem ein Problem hat, hat man’s mit allen, was in dieser kleinen Theater- und Filmbranche in Österreich ja auch tatsächlich so ist. Wenn ich in Berlin wo angeeckt bin, bin ich halt woanders hingegangen. Diese Stadt ist für mich der große Abenteuerspielplatz und vermittelt mir das aufregende Gefühl, dass sie nie fertig ist und sich immer neu entwickelt. Und jetzt, wo ich älter werde und mit Veränderungen nicht mehr so gut umgehen kann, darf ich nicht den Fehler machen und sagen: Jetzt soll die Stadt bitte so bleiben, wie sie ist. Nein, sie muss und wird sich weiterentwickeln, und wenn ich das durchhalten kann, bis ich achtzig bin oder so, dann ist’s gut. Bewegung, Veränderung, Entwicklung – das ist ja auch Ihr persönlicher Lebensmotor. Stottert der nicht, wenn mit dem Älterwerden der Umgang mit Veränderungen schwieriger wird? Michael Rotschopf: Es verändert sich in einem selbst etwas, aber es verändert sich ja auch um einen herum wahnsinnig viel. Die Welt an sich, der Freundeskreis; es sterben Menschen, es kommen Menschen dazu – weniger als sterben, muss man leider sagen. Aber vielleicht ist das ab einem gewissen Alter gar nicht mehr so wichtig, weil man viele sozialisierende Faktoren ja bereits ausprobiert hat in jeder Hinsicht, gescheitert ist in vieler Hinsicht, sich ein bisschen besser kennengelernt hat. Ich finde, das Einzige, das mich sozusagen aufrechterhält, ist dieses Gefühl, dass da noch etwas ist. Etwas, das noch einmal anders oder neu gedacht werden könnte – und wenn ich dieses Gefühl habe, dann verändere ich mich wie bei den Rollen, die ich spiele. Veränderung bedeutet für mich: Ich erforsche meine Möglichkeiten, und wenn ich das Gefühl habe, ich muss jetzt so bleiben wie ich bin, langweilt mich das zu Tode. Sie haben vorhin gesagt, Sie möchten bis achtzig in Berlin leben. Aber haben Sie für den Lebensabend nicht einen Plan B im Hinterstübchen, der Sie wieder nach Osttirol zurückführen würde? Michael Rotschopf: Das mit dem Älterwerden wird schwieriger, klar. Aber ich denke jetzt schon voraus und überlege: Vielleicht möchte ich mir irgendwo in Osttirol eine Waldhütte kaufen und bei Manufactum in Berlin einen alten Lederhut. Dann lege ich mir noch irgendeinen Hund zu, und irgendwelche Burschen oder Mädels aus dem Dorf bringen mir einmal in der Woche Wein vorbei, Speck und gutes Brot – und dann ist das mein letztes Lebensdrittel. Oder Lebenszehntel. Und darauf freue ich mich schon. Jetzt aber wieder Schluss mit Zukunft und Lebensabend. Sie sind erst fünfundfünfzig, also reden wir über Ihr Schaffen. Ihre berufliche Vita reicht von Bianca bis Faust. Sehen Sie diese grundverschiedenen Tätigkeiten als Schritte auf einem Entwicklungsweg, oder mussten Sie da oder dort einen Spagat vollführen, um diese unterschiedlichen Metiers abzudecken? Michael Rotschopf: Ich habe das nie als Spagat empfunden. Für mich habe ich einmal formuliert, dass meine Leistung, die ich zu bringen habe, immer die gleiche ist, immer die gleiche Intensität haben muss – egal, ob ich so etwas wie Bianca oder zweieinhalb Jahre Faust mit Peter Stein mache. Ich habe Bianca von der ersten bis zur letzten Sekunde geliebt. Ich habe ein Jahr lang jeden Tag von Montag bis Freitag eine Folge gedreht und Samstag, Sonntag Text gelernt. Und als wir fertig waren, wollte ich nichts mehr damit zu tun haben. Man hat mich angefragt, ob ich nicht Pilcher oder Ähnliches machen will, aber für mich war an diesem Punkt Schluss und ich wollte woanders hingehen. Ich gehe dorthin, wo das ist, was ich gerade brauche. Und dann brauche ich wieder etwas anderes. Wichtig ist allein: Es gibt nichts, wo ich glaube, das kann ich auf einer halben Arschbacke machen, egal was es ist. Ob das nun von irgendwelchen Leuten als hohe Kunst oder Unterhaltung eingeordnet wird, ist mir doch egal. Sie haben einmal gesagt, Sie entscheiden über Angebote auch in Hinblick auf die Kolleginnen und Kollegen, mit denen Sie dann zusammenarbeiten – und auch, dass Sie von den Großen lernen wollen. Nun haben Sie mit Bruno Ganz, Klaus Maria Brandauer oder Oscar-Preisträger J. K. Simmons gespielt – gab’s da was mitzunehmen und zu lernen? Michael Rotschopf: Jeder, mit dem du arbeitest, hinterlässt enorme Spuren. Manche Dinge, die es zu lernen gilt, haben eben nicht nur mit Handwerk zu tun, sondern mit Persönlichkeiten. Ich habe vor allem von Brandauer und von Peter Stein wahnsinnig viel gelernt, auch menschlich. Das ist, wenn man so will, die Spur, die neben dem Beruf hergeht und die vielleicht, je älter man wird, immer wichtiger wird. Bei Brandauer gab’s Leute, die sagten, er wäre ein schwieriger Kollege. Nicht einen Tag war der schwierig, nicht einen einzigen Tag. Ich hab mich mit ihm wahnsinnig gut verstanden und liebe ihn bis heute. Abschließend eine Frage, die vielleicht ganz gut zu einem Leben in Bewegung passt: Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Michael Rotschopf: Vor eineinhalb Jahren habe ich begonnen, Tischtennis zu spielen und bin ganz hingerissen, dass das so ein toller, intensiver und schneller Sport ist. Aber, um ganz aktuell zu sein: Gestern habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine gewisse Süßspeise, und zwar ein »Steirisches Reingerl«, gegessen. 19 Cirque Gourmet 2025/26

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