Cirque Gourmet 25

»Wir machen dafür ein Schinken-Garum«. Das Zauberwort »Garum« zieht sich durch die antike Küche der Römer und wird gern als Art lateinische Sojasauce verkauft. Tatsächlich verändert diese Fermentationstechnik die Struktur von Lebensmitteln und lässt Glutaminsäure entstehen – die Basis des sogenannten fünften Geschmacks oder »Umami«. Diese gerne als »Herzhaftigkeit« oder schlicht »Intensität« beschriebene Note findet sich in vielen reifen Lebensmitteln: Parmesan, getrocknete Tomaten, Salami. »Aber auch die Muttermilch hat viel Umami – und praktisch alle tröstenden Lebensmittel«, spielt Mattia auf sogenanntes »Comfort Food« an. Hier kommt das erste Mal die Wissenschaft ins Spiel: In einer globalen Studie zu den Signature Dishs von Spitzenrestaurants fand sich praktisch in allen ein umamireiches Element. Den Beweis für seine Theorie liefert die Artischockenessenz Mattia Baronis. Normalerweise werden 70% des Gemüses weggeworfen, in klassischer Zubereitung werden Blätter und Stängel einfach zu bitter. Nicht so als »Garum« – klar kommt der köstliche Geschmack hervor. Und das ohne Verwendung von Salz. Der zweite Akt: Ewige Saison, kein Salz Es ist ein Vorteil dieser Methode, die in der modernen Version auf den Pilz aufbaut, der Sake und Sojasauce hervorbringt: Aspergillus oryzae, der »Ko¯ji-Pilz«, intensiviert Geschmack. »Salz macht nichts komplexer, es packt nur den Geschmack »salzig« drauf«, wird der Gang eingeleitet, der den beliebten Stockfisch nachbildet. Ohne Salz, dafür mit lokaler Forelle und Grünkohl. Serviert wird »Envy of the sea« in einer Austernschale, denn so technisch vieles klingt: »La FuGa« will Spaß machen. Das unterstreichen auch die eigenen Weine zum Menü, die Wenter aus dem Doppelliter ausschenkt. Es gibt sie nur in Schörgau und sie stellen Kleinauflagen und Experimente dar; etwa einen Blend aus Traminer und Lagrein vom Weingut Pranzegg, den man blind für Pinot Noir gehalten hätte. So lassen sich auch die Anliegen im wahrsten Sinn des Wortes besser verdauen. Etwa, dass Garum als »verflüssigte Essenz der Produkte« gesehen wird. Damit einher geht aber auch die Unabhängigkeit der Küche von der Saison. Lärchennadel-Garum wird mit Maroni serviert, die wie fermentierter Knoblauch haltbar gemacht wurden. Dieser zweite Akt, der in der Küche selbst zelebriert wird, schlägt an Intimität, aber auch Diskussion mit dem Koch jeden Chef ’s Table. Das in Fett und Garum gereifte Entrecôte präsentiert Baroni vorm Braten, der Cheesecake mit Kürbis entsteht buchstäblich vorm Gast. »Statt Zucker und Fett prägt Umami hier ein Dessert«, lautet die These dazu. Der dritte Akt: Verwendung ohne Grenzen Spätestens jetzt ist klar: Für kulinarisch Versierte stellt »La FuGa« eine dreiteilige Zauberschau dar, für alle anderen ist sie eine köstliche Abfolge intensiven Geschmacks. Wenn dann im Foyer des Hotels der letzte Gang gereicht wird, fungiert das Essen wie ein inspirierender Epilog. Eindrücke sollen sich setzen, Gedanken weitergesponnen werden. Dazu gibt es eine weitere Geschichte zu hören. Denn anstatt beim lokalen Chocolatier im Sarntal mit einem neuen Produkt zu reüssieren, entdeckte Mattia Baroni dort die übrig gebliebenen Schalen der Kakaobohnen. Für den Meister des Garums wurde daraus eine neue Idee. Statt mit einem Espresso endet der Abend mit einem Aufguss dieser Schalen. Dazu reicht er Gummibärchen aus Kollagen und Kekse mit Orangen-Garum: »Die machen wir mit den Orangenschalen vom Frühstücksbuffet«. Die Brotreste wiederum werden vom »Ko¯ji-Pilz« zu einer sauer-salzigen Würzsauce, die man »Balsamic Bread« nennt. Es ist eines der Produkte, die es bereits jetzt im Hotel zum Mitnehmen gibt. Mit März 2023 sollen dann die Garums in einem eigenen Webshop folgen. Die EU-Förderung für dieses Projekt gibt es bereits. Vielleicht steht es doch nicht so schlecht um die Weltrettung aus Bad Schörgau... Sie wäre jedenfalls eine sehr schmackhafte Revolution. 22 Cirque Gourmet 2023

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